Leidenschaft schlägt Platzierung

– Warum Auszeichnungen kein Ziel, sondern ein Nebenprodukt sein sollten

Ein Kommentar von Sebastian zur TERPECA-Debatte, Enthusiast Bias und echter Qualität in der Escape-Room-Welt


Wer gewinnt dieses Jahr?

Es ist wieder TERPECA-Saison. Und mit ihr kehren jedes Jahr dieselben Gespräche zurück: Wer schafft es in die Top 100? Wer wurde übersehen? Und warum landet ein Raum, den man selbst brillant fand, plötzlich so weit unten?

David Spira hat in seinem Artikel auf Room Escape Artist diese Debatte klug aufgedröselt – mit einer ehrlichen Botschaft: TERPECA ist ein wertvolles System, aber kein Maßstab für den wahren Wert eines Escape Rooms.

Und auch eine zweite Diskussion, die zuletzt für Aufmerksamkeit sorgte – das Konzept der „Enthusiast Bias Blindness“ (EBB) – trifft einen Nerv. Denn die meisten TERPECA-Bewertungen entstehen durch Vielspielende, durch jene, die sich tief in dieses Hobby hineingespielt haben. Und so sehr diese Leidenschaft die Branche beflügelt – sie verzerrt auch das Bild davon, was Qualität eigentlich bedeutet.

Das verzerrte Bild: Wer bewertet eigentlich wen?

Über 90 % aller Besucher:innen spielen im Schnitt weniger als zehn Escape Rooms im Leben. Sie erleben das Medium nicht über Rankings oder Auszeichnungen, sondern über Emotionen: Spannung, Teamgefühl, Staunen, Freude.

TERPECA dagegen wird getragen von einer kleinen, leidenschaftlichen, internationalen Community erfahrener Enthusiast:innen. Menschen, die hunderte Spiele gespielt haben, die vergleichen, reflektieren, analysieren – und dadurch unbewusst neue Maßstäbe setzen. Diese Perspektive ist wichtig. Aber sie ist eben auch eine Blase.

Je tiefer man in der Szene steckt, desto enger wird manchmal der Blick – und desto leichter verwechselt man Bekanntheit mit Bedeutung.

Die wirtschaftliche Wahrheit: Zwischen Leidenschaft und Lebensunterhalt

Escape Rooms sind oft Leidenschaftsprojekte. Aber sie sind auch Unternehmen. Jeder Raum muss sich tragen: Miete, Personal, Wartung, Marketing, etc. Und so sehr der Wunsch nach Anerkennung verständlich ist – kein Ranking zahlt Gehälter.

Ein TERPECA-Award kann Türen öffnen, Vertrauen schaffen, internationale Aufmerksamkeit bringen. Aber auf Dauer zählt etwas anderes: nachhaltige Qualität. Wie konstant bleibt das Erlebnis – auch ohne „Special Treatment“? Wie stark ist der lokale Markt? Wie viele Erstspieler:innen kommen zurück? Wie motiviert ist das Team am 200. Betriebstag?

Leidenschaft darf niemals zur wirtschaftlichen Schwäche werden – aber Wirtschaftlichkeit darf nie die Leidenschaft ersticken. Die besten Anbieter finden genau dieses Gleichgewicht: Herz trifft Kalkulation.

Was wirklich gute Räume ausmacht

Wir spielen seit Jahren Escape Rooms – quer durch Europa, vom kleinen Familienbetrieb bis zum immersiven Großprojekt. Und irgendwann versteht man: Es geht nicht mehr um mehr, größer oder teurer. Es geht darum, was ein Raum mit dir macht.

Ein wirklich guter Escape Room schafft etwas, das sich nicht zählen lässt – er verändert dich. Du trittst hinaus, schaust dein Team an und weißt: Da ist gerade etwas passiert, das bleibt. Das ist kein Zufall. Das ist Haltung.

1. Räume werden nicht gebaut, sie werden gelebt.

Man spürt, ob ein Team nur Kulissen aufbaut oder Welten erschafft. Die besten Räume entstehen dort, wo Menschen etwas zu erzählen haben – wo jemand eine Idee, ein Gefühl oder eine Geschichte so sehr liebt, dass er sie in Raum, Licht, Klang und Rätselmechanik übersetzt. Denn dies sind nicht Beiwerk – sie sind die Sprache, in der ein Raum zu seinen Spielern spricht.

2. Leidenschaft ist keine Marketingfloskel, sondern ein Versprechen.

Leidenschaft zeigt sich nicht im Jubel zur Eröffnung, sondern in der Konsequenz danach. In der Liebe zum Detail, im Willen, Dinge zu verbessern, im Stolz, selbst Kleinigkeiten zu pflegen. Sie steckt in der Art, wie ein Gamemaster eine Geschichte trägt, wie Licht und Ton miteinander sprechen, wie ein Rätsel dramaturgisch platziert wird.

Ein gutes Puzzle ist nicht nur clever, sondern emotional verankert. Es ergibt Sinn, weil es in seiner Logik dieselbe Sprache spricht wie die Story.

3. Professionalität ist die Form, die Leidenschaft möglich macht.

Ohne Struktur verpufft jede Vision. Saubere Abläufe, Schulung, Technik, Qualitätsmanagement – all das ist kein Selbstzweck, sondern die Grundlage, auf der Emotion und Spielfluss wirken können.

4. Qualität misst sich nicht an Größe, sondern an Konsequenz.

Am Ende zählt nicht, wie laut, groß oder filmreif ein Escape Room ist – sondern, wie echt sich das gemeinsame Erlebnis anfühlt.

Ob Storygetreiben, kniffliges Rätselabenteuer oder Blockbuster mit voller Effektdichte: Ein Raum berührt, wenn er konsequent bleibt – in Ton, Stil und Idee.

Wenn Atmosphäre, Aufgaben und Teamflow ineinandergreifen, entsteht genau das, was dieses Hobby so besonders macht: Spaß, Zusammenhalt und ein Moment, den man nicht vergisst.

Denn Qualität misst sich nicht an Größe, sondern an Konsequenz. Ein großartiger Raum weiß, wer er ist – und steht dazu. Ob technisch spektakulär oder liebevoll intim: wichtig ist, dass alles derselben Wahrheit folgt.

Enthusiast Bias Blindness: Zwischen Liebe und Tunnelblick

Wie im Essay von Lewis Hunt treffend beschrieben, entsteht diese Verzerrung, wenn Vielspielende ihre eigenen Maßstäbe für allgemeingültig halten. Wenn persönliche Vorlieben – etwa für Story, Technik oder Rätselstil – plötzlich zu „Qualitätsnormen“ werden.

Das führt dazu, dass Räume, die für die breite Zielgruppe funktionieren, oft unterschätzt werden. Ein klassischer, klar strukturierter Rätselraum kann für Erstspieler:innen magisch sein – auch ohne Nebelmaschine und Cinemascore. Und gleichzeitig drohen Räume, die auf Enthusiast:innen optimiert sind, wirtschaftlich zu kippen, wenn das „normale Publikum“ nicht nachzieht.

Enthusiasmus ist wertvoll, aber kein Geschäftsmodell.

Ein gesunder Markt braucht beides: die kreativen Leuchttürme – und die soliden, konstant guten Häuser, die den Alltag tragen.

Wahre Größe zeigt sich im Gleichgewicht

Wir wünschen uns eine Szene, die beides feiert: die Kunst des Bauens und das Handwerk des Betreibens. Die Leidenschaft ehrt – und gleichzeitig jene Professionalität, die diese Leidenschaft dauerhaft möglich macht.

Und wir wünschen uns, dass auch Enthusiast:innen sich ihrer Rolle bewusst bleiben: Bewertungen formen Wahrnehmung, Rankings beeinflussen Entscheidungen, und jede TERPECA-Stimme ist Teil eines größeren wirtschaftlichen Ökosystems.

Darum: Begeisterung ja, aber mit Augenmaß. Kritik ja, aber mit Demut. Denn jedes Erlebnis, über das wir schreiben, war einmal ein Traum, den jemand in die Realität gebaut hat.

Eine Top-Platzierung ist ein Nebeneffekt

TERPECA ist wertvoll. Es inspiriert, verbindet, setzt Maßstäbe. Aber es ist kein Ziel. Es ist ein Nebeneffekt, wenn Leidenschaft, Professionalität, Rätseldesign und Mut zusammenkommen.

Escape Rooms leben nicht von Preisen, sondern von Menschen: von Spieler:innen, die staunen, von Teams, die wachsen, von Betreiber:innen, die ihre Vision Tag für Tag mit Leben füllen.

Leidenschaft schlägt Platzierung.
Immer.

Weil Rankings kommen und gehen – aber ein Erlebnis, das du fühlst, und selbst mitgestaltest, bleibt.


(Inspiriert von Room Escape Artist und Lewis Hunt)

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