[Im Test] Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss

Mit Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss von Jacob Berg versucht der Kosmos Verlag, das klassische Krimispiel neu zu denken. Statt Hinweisen, Karten oder Rätseln steht hier das Hören im Mittelpunkt. Wir übernehmen die Rolle von Geschworenen, die einen Fall bewerten sollen – auf Basis von Zeugenaussagen, Audiosequenzen und diskutierten Eindrücken.

Auf dem Papier klingt das nach einem spannenden, moralisch aufgeladenen Abend. In der Praxis wirkt das Ganze aber eher wie ein sehr gut produziertes Hörspiel, das man gemeinsam hört, anstatt wie ein interaktives Spiel, das man aktiv gestaltet.

Die Tonqualität ist überragend, die Sprecher:innen überzeugend, die Stimmung dicht. Man merkt, dass hier professionelle Produktion dahintersteckt. Doch während die Stimmen klar, glaubwürdig und teilweise emotional klingen, bleibt das Geschehen seltsam distanziert. Ohne visuelle Eindrücke – keine Mimik, keine Körpersprache, keine Reaktionen im Gerichtssaal – fällt es schwer, wirklich einzutauchen. Das, was in einer echten Verhandlung Spannung erzeugt, fehlt hier völlig.


Mehr Hörspiel als Spielerlebnis

Genau das ist das Kernproblem: Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss vertraut voll auf die Kraft des gesprochenen Wortes, verzichtet aber auf alles, was man in diesem Genre sonst mit Spannung verbindet. Statt sich aktiv etwas zu erarbeiten, folgt man einer linearen Erzählung, die kaum überraschende Wendungen bietet.

Auch die Handlung selbst bleibt vorhersehbar. Der Fall war recht schnell durchschaubar war und dadurch kam auch kaum Diskussion zustande.

Was eigentlich zu einem lebendigen Austausch führen könnte, läuft so auf eine recht eindeutige Lösung hinaus. Ohne echte Ambivalenz entsteht wenig Dynamik, und damit verliert Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss das, was diesen Ansatz besonders machen könnte: das moralische Ringen, das Infragestellen eigener Wahrnehmungen.


Der Prozess ohne Prozessgefühl

Man merkt schnell: Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss möchte Drama erzeugen, aber der Spannungsbogen bleibt flach. Die Geschichte verläuft gleichmäßig, ohne größere emotionale Ausschläge oder Momente, in denen sich alles verändert.

Statt einem packenden Gerichtsdrama bekommt man einen linearen Fall, der sich brav abspielt.

Das erinnert stellenweise eher an ein True-Crime-Hörbuch als an ein interaktives Krimispiel. Selbst wenn die Audioaufnahmen hochwertig produziert sind, fehlt das Gefühl, selbst Teil eines Prozesses zu sein. Die Diskussionen in der Gruppe wirken häufig wie Nachgespräche, nicht wie echte Entscheidungen mit Gewicht.

Ich schätze es, wenn Spiele Mut zeigen und neue Wege gehen. Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss versucht genau das – und scheitert nicht an der Idee, sondern an der Umsetzung.

Der Fokus auf Audio ist mutig, aber ohne etwas, das diese Tonspur ergänzt, verliert sich das Erlebnis. Die Stimmen schaffen Atmosphäre, aber keine Dynamik. Es fehlt das visuelle Gegengewicht, das dem Fall Gewicht verleihen würde.

Die Diskussion bleibt an der Oberfläche, weil die Geschichte kaum echte Widersprüche bietet, über die man sich reiben könnte und vielleicht auch schon der Titel des Spiels zu viel verrät.

Man merkt: Das Konzept funktioniert nur dann, wenn das Audio wirklich Raum für Interpretationen lässt. Doch Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss präsentiert seine Beweise so klar, dass kaum Zweifel entstehen. Und ohne Zweifel keine Spannung.


Ein Abend mit Gesprächswert, aber ohne Nachhall

Am Ende bleibt ein handwerklich stark gemachtes, aber inhaltlich zu vorsichtiges Produkt. Die Idee, ein Gerichtsverfahren als Gruppenerlebnis zu inszenieren, ist spannend. Aber das Spielgefühl bleibt blass.

Ich hatte nach dem Ende kein Bedürfnis, länger darüber nachzudenken oder es noch einmal zu spielen. Es fühlte sich abgeschlossen an – fast wie ein Hörspiel, das man zu Ende gehört hat und dann abhakt.

Was mir besonders fehlt, ist dieses Mystische, Rätselhafte, das andere Audioformate schaffen. Bei Echoes vom Ravensburger Verlag etwa entsteht durch Klang, Fragment und Symbolik ein narratives Puzzle. Die Jury dagegen liefert einen klaren Ablauf – gut gemacht, aber ohne Tiefe.

Selbst die empfohlene Spielerzahl zeigt, wie empfindlich das Konzept ist: Unter drei Personen funktioniert der Austausch kaum, weil einfach zu wenig Reibung entsteht. Die Stärke des Formats hängt also vollständig von der Gruppendynamik ab – und die lässt sich schwer planen.

Unser Fazit

Ihr seid die Jury: Zwei Gesichter – Ein Schuss ist ein spannendes Experiment – aber eines, das sich im eigenen Anspruch verliert. Was bleibt, ist eine schöne Idee mit starker Audioqualität, die sich am Ende zu sehr auf ihre Produktionswerte verlässt.

Es fehlt das Unerwartete, das Spielerische, das Gefühl, dass man selbst etwas entdeckt.

Für mich war es weniger Spiel, mehr Hör-Erlebnis. Gut gemacht, aber ohne den Funken, der mich wirklich gepackt hätte.

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